Fig. 006-HU-14 (Palituch), Budapest

»In der Finsternis von Globalismus und Liberalismus ist die letzte Hoffnung der Menschheit der Islam«, sagt Gábor Vona. »Wenn der Islam scheitert, gehen die Lichter für immer aus.« Vona ist kein Salafist, sondern Katholik. Er ist kein Linker, sondern Nationalist. Und er ist kein Außenseiter, sondern Chef einer Partei, die bei den letzten Eurowahlen die zweitstärkste seines Landes wurde: Jobbik, die Bewegung für ein besseres – und rechteres – Ungarn.

Jobbik wird oft als Beispiel für den Aufstieg rechtsradikaler Parteien in Europa nach dem 11. September 2001 genannt. Es gibt nur einen Schönheitsfehler: Rechtsradikale hassen Muslime und wollen mit der Türkei nichts zu tun haben, das galt bisher als gesichert. Doch Gábor Vona nennt die Türken seine Brüder und Schwestern. Er wollte angeblich die iranischen Revolutionsgarden als Wahlbeobachter nach Ungarn holen. Und er trägt gerne Palästinensertücher, wie man sie in dem kleinen Militärladen am Budapester Ostbahnhof bekommt, wo sie fabrikneu eingeschweißt im Regal unter der deutschen Reichkriegsflagge liegen. Warum lieben Ungarns Rechte den Islam?

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In den Neunzigern bröckelte die einheitliche Front der Rechtsradikalen in Europa. Seit den ersten Europawahlen waren ihre Parteien im Europäischen Parlament vertreten, ab 1984 sogar mit einer eigenen Fraktion. Doch dann verschwanden Parteien in der Bedeutungslosigkeit, die das rechte Bündnis mit aufgebaut hatten, etwa die deutschen Republikaner. Neue Versuche der Zusammenarbeit scheiterten an der Unvereinbarkeit der einzelnen Nationalismen und Ressentiments.

Zwar war man weiterhin geeint darin, den »Superstaat« der Europäischen Union zerschlagen zu wollen, wie es in einer gemeinsamen Erklärung von FPÖ, italienischen Faschisten und anderen hieß. Doch wie sollten anschließend die Grenzen des neuen Europas gezogen werden? Gehört Südtirol dann zu Italien oder zu Österreich oder zu Großdeutschland? Würde man Transsylvanien wieder Ungarn zuschlagen, oder dürfte es Teil Rumäniens bleiben? Was wird mit der Krim?

Über solche und ähnliche Fragen wird heute noch gestritten. In der außerparlamentarischen »Allianz der europäischen nationalen Bewegungen« wurden deshalb immer wieder rechtsradikale Parteien einzelner Länder ausgeschlossen oder sind ausgetreten. Dabei ist längst ein Feindbild entstanden, das die Rechte einen kann und ihr ein Einfallstor in den Mainstream bietet: der Islam.

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Nach den Terroranschlägen in New York, in Washington, in Madrid und in London wurden der Hass auf Einwanderer und die politische Paranoia gesellschaftsfähig. Eine Rhetorik griff um sich, die bis dahin den Rechtsradikalen vorgehalten war: Europa sei nicht mehr Europa, sondern schon Eurabien. Es sei nur eine Frage der Zeit, bis bei uns wieder mittelalterliche Verhältnisse herrschten, mit Steinigungen und Vergewaltigungen – und schuld seien die Muslime. Von der »schleichenden Islamisierung Europas« sprachen auch Menschen, die zuvor kaum Schnittmengen mit Rechtsradikalen hatten: Akademiker, Israelfreunde, Schwule und Lesben, Feministinnen und Sozialdemokraten.

Polly Toynbee, eine Journalistin aus dem Umfeld der britischen Labour Party, zeigt das beispielhaft. Dass sie Muslime kategorisch ablehnt, begründete Toynbee wie folgt in der Zeitung The Guardian: Seine Hautfarbe könne man sich nicht aussuchen, sie sage nichts über einen Menschen aus. Seine religiösen Überzeugungen hingegen wähle man freiwillig. Jemanden wegen seiner Hautfarbe dumm zu nennen, sei beleidigend. Jemanden wegen seiner Überzeugungen dumm zu nennen, so Toynbee, sei legitim.

Diese Aussage ist selbstverständlich richtig, solange man sie auf ein Individuum bezieht. Sie kann auch dann richtig sein, wenn man sie auf eine Gruppe bezieht, deren Mitglieder eine Überzeugung teilen. Aber gilt sie auch für geschätzte anderthalb Milliarden Muslime weltweit? Für eine Religion ohne Papst und ohne Staatskirche? Für unterschiedliche Koranauslegungen, deren Anhänger einander teilweise nicht als islamisch anerkennen – trotz ihrer angeblichen gemeinsamen Überzeugung?

Oder ist die kategorische Ablehnung von anderthalb Milliarden Menschen nicht doch ähnlich undifferenziert und beleidigend wie der Hass der Rassisten? Polly Toynbee machte es sich leicht. Sie war nicht die einzige.

In den Jahren nach dem 11. September 2001 entstanden neue Parteien, die ähnlich argumentierten wie die britische Journalistin: anti-islamisch, aber scheinbar liberal. Zum Beispiel die niederländische Freiheitspartei, die gegen den Islam hetzt, aber für Schwulen- und Frauenrechten eintritt. Parteichef Geert Wilders ist kein Anhänger eines pseudo-biologisch begründeten Rassismus. Er will Muslime auch nicht abschieben oder in Arbeitslager schicken – er will sie bekehren. Sein Anliegen ist ein Verbot des Koran.

»Diese Ideologie ist eine Gefahr«, sagt Wilders über den Islam. »Ich hasse sie, ich hasse nicht die Muslime.« Doch was bleibt von einem Muslim noch übrig, wenn man ihm den Islam nimmt? Geert Wilders Aussage ist etwa so logisch, wie mittelalterliche Zwangstaufen als Akte der Judenliebe zu deuten. Er kommt damit durch: Im Juni 2011 sprach ein niederländisches Gericht Geert Wilders von der Anklage frei, er schüre Rassismus und diskriminiere Muslime. Seine Freiheitspartei ist heute die drittstärkste politische Kraft in den Niederlanden.

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In ihrer Misere erkannten auch die alten rechtsradikalen Parteien – die FPÖ, zum Beispiel, oder der Front National – die Chance, ihren Rassismus als »Ideologiekritik« à la Wilders konsensfähig zu machen. Mehrere rechtsradikale Parteien haben ihr Auftreten im Vergleich zu den Neunziger Jahren korrigiert – und neue Wähler dazu gewonnen.

Die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ), die lange ein Sammelbecken für Altnazis war, gab sich nun betont staatstragend und legalistisch: »Der Koran als verbindliche Offenbarungsquelle aller Muslime, weist Aussagen auf, die in grobem Widerspruch zu unseren Grundauffassungen stehen«, heißt es in einem Grundsatzpapier. Folglich müsse »geklärt werden, in welcher Weise muslimische Traditionen mit dem europäischen Demokratie- und Grundrechtsverständnis vereinbar sind.« Was nüchtern klingt, zieht eine Einschränkung der Religionsfreiheit in Erwägung (und damit eines der Grundrechte, die die Partei doch zu verteidigen vorgibt) und stellt ausdrücklich alle Muslime unter Verdacht, nicht nur potentielle Terroristen.

Auch die grobschlächtigen und immer wieder als gewalttätig aufgefallenen Hooligans der British National Party (BNP) erfanden sich als »Islamkritiker« neu. Parteifunktionäre einschließlich des heutigen Vorsitzenden Nick Griffin hatten noch in den neunziger Jahren die Geschichtsschreibung zum Holocaust als »Lüge«, als »Nonsens« und als »schlechten Scherz« bezeichnet. Dann forderte Griffin eine Abkehr von der Holocaustleugnung – zumindest eine rhetorische. Statt über Juden, solle man über Muslime sprechen. »Wir quatschen weiter vom Islam«, schärfte er laut der britischen Zeitung The Independent seinen Anhängern ein: »das ist das einzige ist, was die Leute da draußen kapieren.« Seitdem hat die BNP bei mehreren Wahlen Stimmen dazu gewonnen.

Noch erfolgreicher war die Neuerfindung des französischen Front National. 1994 war der damalige Parteichef Jean-Marie Le Pen mal wieder wegen Anstachelung zum Rassismus verurteilt worden. Zwanzig Jahre später setzt seine Tochter Marine als neue Parteivorsitzende auf jene Rhetorik des Ausschluss und der Verachtung, die nicht mehr als Rassismus gilt. Sie hält sich mit den für ihren Vater typischen Judenwitzen und Schwulenschelten zurück – hetzt dafür aber gegen den Islam. Bei der Europawahl 2014 wurde der Front National zu stärksten politischen Kraft in Frankreich.

Die theoretische Grenze zwischen den »alten Rechtsradikalen« wie FPÖ und BNP und den »neuen Rechtspopulisten« wie Wilders Freiheitspartei verwischt: Marine Le Pen vom Front National inszeniert sich als Verbündete von Geert Wilders von der niederländischen Freiheitspartei. Auch wenn eine neue Fraktionsbildung im Europäischen Parlament 2014 nicht gelungen ist, machen die rechten Parteien wieder gemeinsame Sache. Nur eine Gruppe wird dabei kategorisch ausgeschlossen: Die ungarischen Palituchträger von Jobbik.

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»Sie sind sehr islamophob«, sagt Márton Gyöngyösi, Jobbiks führender Außenpolitiker, in einem Interview mit The Budapest Times über Marine Le Pen, Geert Wilders und ihre Verbündeten. Die Ablehnung beruht auf Gegenseitigkeit. Der Front National verließ die »Allianz der europäischen nationalen Bewegungen« und begründete das damit, nichts mit Jobbik zu tun haben zu wollen. Der Islam eint als Feindbild die Rechten in Westeuropa. Doch er trennt sie von einigen potentiellen Verbündeten im Osten.

Muslimische Zuwanderung spielte in Ungarn bisher keine Rolle. Man kann tagelang durch Budapest laufen, ohne eine einzige Kopftuchträgerin zu sehen. Bei der letzten Volkszählung in Ungarn wurde der Islam als Religionszugehörigkeit nicht mal abgefragt. Mit Hetze gegen Muslime sind hier vermutlich nicht besonders viele Wähler zu gewinnen. Das erklärt aber nicht, warum Gábor Vona, Márton Gyöngyösi und andere Jobbik-Politiker sich als Freunde des Islams inszenieren.

Der Grund dafür ist wohl ein anderer: Jobbik ist keine Partei der scheinliberalen »Ideologiekritiker«. Jobbik-Politiker sprechen nicht von Überzeugungen, wie Polly Toynbee. Sie sprechen von Blut. Dazu gehört die Weigerung, Roma zu integrieren. Und der unverblümte Hass auf Israel, seine Staatsbürger, seine Politiker und seine Investoren, die angeblich Ungarn aufkaufen. Dazu gehört auch das Nazi-Vokabular, wenn Gábor Vona die USA als »entstellte Nachzucht« Europas bezeichnet und von westlicher »Untermenschenkultur« spricht. Und die eurasische Rassenkunde des Turanismus. Die rassistische Behauptung, jeder Mensch werde in eine politische Gemeinschaft hinein geboren, der er biologisch zugehörig sei. Und so weiter.

Die große politische Trennlinie unserer Zeit verläuft laut Jobbik nicht zwischen Religionen wie dem Christentum und dem Islam, sondern zwischen »Liberalen« und »Traditionalisten«. Liberale sind demnach alle, die rhetorisch oder inhaltlich an den Werten der europäischen Aufklärung festhalten. Traditionalisten sind Parteien wie Jobbik, die diese Werte verdammen. In den westeuropäischen Rechtsradikalen könne er keine Verbündete sehen, sagt Márton Gyöngyösi: »Sie sind vollständig liberal, absolut liberal. Sie kapieren es einfach nicht.«

Jobbik lehnt nicht nur die Europäische Union ab, sondern auch jenes Europas, das die westlichen Islamfeinde vorgeblich schützen wollen: das Europa der Verfassungsstaatlichkeit, der Demokratie und der Grundrechte. »Die vielleicht letzte Zeit, in der das Licht der Tradition in Europa noch schwächlich flackerte, war das Mittelalter«, schreibt Gábor Vona. »Was dann folgte, von der Renaissance und Reformation über die Aufklärung und industrielle Revolution bis zur Moderne, verfinsterte alles.«

Man muss diese Worte ernst nehmen, um zu verstehen, was sie bedeuten: Seit mehr als 500 Jahren geht es für Jobbik bergab mit dem Kontinent. So, wie Europa sein sollte, war es zuletzt als die Scheiterhaufen brannten.

Womöglich unterscheidet sich Jobbiks Bild vom Islam gar nicht grundsätzlich von dem eines Geert Wilders oder einer Marine Le Pen. Auch Jobbik sieht im Islam eine Kultur, die einheitlich illiberal, mittelalterlich und uneuropäisch ist und die sich im Kulturkrieg mit dem Westen befindet. Der Unterschied ist, dass Jobbik in diesem Krieg auf der Seite der Antiwestler steht. Gábor Vona, der Freund des Intifada-Looks, schreibt, er sei zwar gegen Selbstmordattentate. Aber der Islam verteidige nun mal seine Tradition.

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[1] Den Hinweis auf Jobbiks Islamfreundschaft verdanken wir Corentin Léotards Artikel »Jobbik und die Liebe zu den Turkvölkern«, der in der Übersetzung von Claudia Steinitz am 11. April 2014 in der Zeitung Le Monde Diplomatique erschienen ist.

[2] Einführende vergleichende Überblicke zu rechtspopulistischen und rechtsextremen Parteien in Deutschland bekommt man bei ihren politischen Gegnern. Die historischen Ausführungen in diesem Text stützten sich unter anderem auf Europa Rechtsaußen, herausgegeben von dem Grünen-Abgeordneten Jan Philipp Albrecht, sowie auf Rechtsextremismus in Europa, herausgegeben von Ralf Melzer und Sebastian Serafin im Verlag der Friedrich-Ebert-Stiftung. Hilfreich waren auch die Aufsätze in dem Band The Extreme Right in Europe: Current Trends and Perspectives (2012), herausgegeben von Uwe Backes und Patrick Moreau im Verlag Vandenhoeck & Ruprecht.

[3] Eine Einführung zur Islamfeindschaft speziell in Deutschland bietet Patrick Bahners Die Panikmacher. Die deutsche Angst vor dem Islam (2011). Größere Teile Europas nimmt Wolfgang Benz in den Blick: Die Feinde aus dem Morgenland. Wie die Angst vor den Muslimen unsere Demokratie gefährdet (2012). Beide Bücher sind im C.H. Beck Verlag erschienen. Tiefergehende Analysen bietet der Band From the Far Right to the Mainstream: Islamophobia in Party Politics and the Media von Humayun Ansari und Farid Hafez, der 2012 im Campus-Verlag erschienen ist.

[4] Vom »Superstaat« schreiben die FPÖ und andere rechte Parteien in ihrer gemeinsamen »Wiener Erklärung«, die der zweiten Gründung einer Rechtsaußenfraktion im Europäischen Parlament vorausgegangen ist. Polly Toynbees Artikel »My Right to Offend the Fool« wurde am 10. Juni 2005 in The Guardian gedruckt. Das Zitat von Geert Wilders ist aus einem Interview mit Der Spiegel, erschienen in Ausgabe 14/2008. Die Aussagen der FPÖ zum Islam finden sich im Arbeitspapier »Wir und der Islam« vom 22. Januar 2008. Nick Griffins Zitat zum taktischen Islamhass ist der Zeitung The Independent vom 4. Juli 2008 entnommen. Die Zitate von Márton Gyöngyösi stammen aus einem Interview mit The Budapest Times vom 22. Februar 2014. Die Zitate von Gábor Vona stammen aus Texten, die Jobbik in englischer Sprache auf seiner Internetseite veröffentlicht hat, vor allem aus »Vona Gábor about Islam«.

[5] Wir danken den Betreibern des Special Military Store am Budapester Ostbahnhof für die Fotoerlaubnis. Auf diesen Laden sind wir aufmerksam geworden, weil er in einem Online-Forum empfohlen wurde, in dem sich Menschen darüber austauschten, wo man anlässlich einer von Jobbik angemeldeten Palästina-Solidaritätsdemo Palitücher kaufen könne.