Gestrandet in Bosnien (Unterwegs in Europa, Tag 10)

von Oskar Piegsa

Die Vrbas bei Banja Luka

Nach tagelangem Regen trat die Vrbas über ihre Ufer – wie viele Flüsse in Bosnien. Das Bild zeigt sie bei Banja Luka.

Von Wien weiter nach Zagreb, das dortige Museum of Broken Relationships besuchen, eine Übernachtungspause einlegen, dann weiter nach Sarajevo und dabei die Landstraßen und Schleichwege durch die Republika Srspka nehmen, auf der Suche nach unserem nächsten Ding. Das war der Plan.

Als wir gestern in Zagreb aufbrachen, nervte uns der Regen mehr, als dass er uns beunruhigte. Der schlimmste Regen seit 120 Jahren, hieß es vor unserer Abfahrt. Dann: Der schlimmste Regen aller Zeiten, Vergleichbares habe es in Südosteuropa noch nicht gegeben. In Serbien waren bereits Menschen gestorben. Aber Serbien war noch ein gutes Stück weg und wir wollten uns nicht aufhalten lassen. Von Zagreb aus, wo wir Nachrichten und Niederschlagstabellen studierten, wirkten die Überflutungen im Landesteil westlich von Sarajevo eher lästig als katastrophal.

In Jasenovac, an der Grenze zwischen Kroatien und Bosnien, machte uns ein Zollbeamter Vorschläge für die Route. Von unserem Kontakt aus Sarajevo hieß es, das könne klappen. Wir entschieden uns, zu schauen, wie weit wir kommen.

Wir kamen bis Banja Luka. Dort waren alle Straßen zur Weiterfahrt nach Südosten gesperrt. Unterspült, überflutet, umgestürzte LKW, hieß es. In Banja Luka waren es nicht mehr Felder, die sich langsam mit Wasser füllten, wie noch auf unserer Fahrt. Stattdessen sahen wir die Vrbas, die zu einem gewaltigen, schlammbraunen Strom gewachsen war. Claudius Foto zeigt den Stand von gestern gegen 15 Uhr. Dem Wasser reichte das Flussbett längst nicht mehr. Unterwegs riss es alles mit, was ihm im Weg war. Teile von Bäumen. Teile von Häusern.

Wir wollten eine alternative Route versuchen, kehrten um – bis auch das nicht mehr ging. Gestern Abend sind wir in Sanski Most angekommen, einem Ort, der bekannt ist für seine vielen Flüsse. Er war offenbar abgeschnitten vom Rest des Landes, jedenfalls legte man uns dringend nahe, nicht weiterzufahren. Nach allem, was wir gesehen hatten, glaubten wir den Warnungen dieses Mal. Gestern konnten wir hier beobachten, wie es aussieht, wenn Wasser nicht nur unter der Brücke fließt, sondern auch drüber. Straßen als Wildbäche, Sandsäcke vor Geldautomaten, Gestrandete.

Wir hatten Glück. Eine bosnische Familie hat uns bei sich aufgenommen, hat uns eine Schlafcouch überlassen und ein altes Kinderzimmer. Heute morgen wachte ich auf und hörte zum ersten Mal seit anderthalb Tagen nicht mehr nur Regen, Regen, Regen, sondern Vogelgezwitscher.

Im Krankenhaus (Unterwegs in Europa, Tag 8)

von Oskar Piegsa

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Im AKH-Wien: Grünes Bettenhaus? Rotes Bettenhaus? Wo geht’s hier in die Toxologie?

Heute waren wir im Krankenhaus. Nur dienstlich, zum Glück. Nachdem wir morgens noch in Tschechien aufgewacht waren, rollten wir gegen Mittag über die Landesgrenze nach Österreich. Das erste, was wir von Wien sahen, war ein Werbeplakat der FPÖ. Denkzettelwahl, oder so ähnlich. Aus den Boxen dröhnte die Wiener Band Kreisky (wobei auch Frau Wurst gepasst hätte), die Wahlplakate ließen wir hinter uns und bogen nach links ins AKH, das Klinikum dieser Stadt.

Das AKH, so wirkt es, ist eine Stadt in der Stadt. Restaurants, Cafés, Kioske, endlose Gänge in alle Himmelsrichtungen, großes Gewusel von Kranken und Gesunden. Wir durften in einen Teil des Gebäudes, den man unter normalen Umständen nicht ohne Weiteres zu sehen bekommt, dorthin, wo eine strenge Schwester die Besucherpässe verwaltete und wo man nicht geschminkt sein darf, aus Gründen des Strahlenschutzes: in die Toxikologie.

Ich kürze die Geschichte ab und verkünde: Wir sind heil wieder rausgekommen. Aus der Toxikologie. Und aus dem Krankenhaus. Alles Weitere demnächst in unseren Dingen Europas. Achten Sie, werte Leserinnern und Leser, auf das Foto von der seltsamen Maschine, die Sie vielleicht entfernt an ein Massenspektrometer auf Rollen erinnern wird.

Wie die Nazis über Europa dachten (Lesetipp)

von Oskar Piegsa

Heute mal keine Reisenotizen wie in den letzten Tagen, sondern ein Lesetipp zur Geschichte der europäischen Idee:

Während nach 1918 die deutsche Rechte anti-europäisch war, brach nach dem Sieg über Frankreich 1940 ein wahrer „Europa-Rausch“ aus, wie der Freiburger Historiker Ulrich Herbert erzählt. (…) Eine der wirkmächtigsten Legenden, die schon lange über Europa erzählt wird, behauptet, die Idee der europäischen Einigung sei 1945 – vorbereitet in den Jahren davor von italienischen Antifaschisten – wie eine Erlösungsformel über die Völker des vom Krieg zerstörten Kontinents gekommen. Dass aber auch die Nazis Europäer gewesen sein sollen, das auszuplaudern ist bis heute verboten.

Das schreibt Rainer Hank in einem Essay, der in der gestrigen Ausgabe der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung erschienen ist. „Verboten“ ist vielleicht ein etwas zu dramatisches Wort – aber verblüffend finde ich seinen Text über die europäische Idee der Nationalsozialisten allemal. Um zu Hanks Text zu gelangen, bitte mal hier klicken.

[Nachtrag 26. Mai 2014] Danilo Scholz (Mitherausgeber der Essaysammlung „Euro Trash“) hat den Essay von Rainer Hank ebenfalls gelesen und dabei einen kühleren Kopf behalten als ich. Nach einem kritischen Kommentar von Danilo auf Facebook fühle ich mich ertappt und zur Ordnung gerufen. Deshalb dieser Nachtrag.

Dass Hank behauptet, es habe den „bösen Nationalismus“ der Nazis „gar nicht“ gegeben, ist haarsträubend. Die positive Provokation von Hanks Text liegt für mich darin, dass er „Europa“ als leeren Signifikanten entlarvt. Er zeigt: Für „Europa“ zu sein, kann vieles bedeuten, auch Dinge, die sich gegenseitig ausschließen und die ich für politisch und moralisch falsch halte. Statt bloß „für Europa“ zu sein, müssen wir deshalb darüber reden, für welches Europa wir sind.

Mag sein, dass das banal ist – und dass meine obige Empfehlung des Textes nicht nur im Zustand der geäußerten Verblüffung erfolgte, sondern auch in einem Moment kritischer Kurzsichtigkeit. Um das klar zu sagen: Ich glaube nicht, dass eine Problematisierung des Europabegriffs notwendig zu Folge hat, dass man den Begriff der Nation entproblematisiert. Schon gar nicht den nationalsozialistischen Begriff der Nation.

Dass es eine nationalsozialistische Idee von Europa (unter deutscher Führung, mit rassistischen Hierarchien, mit genozidalen Programmen) gegeben hat, ändert zudem nichts daran, dass (eine ganz andere Vorstellung von) Europa auch Antifaschisten motivierte, wie Danilo schreibt: „Camus‘ „Lettres à un ami allemand“ begründen den Eintritt in den Widerstand mit der Verteidigung des europäischen Ideals. Dem Mathematiker Jean Cavaillès ging’s um das Erbe der europäischen Aufklärung. Den Gestapo-Leuten, die ihn am 17. Februar 1944 erschossen haben, eher weniger.“

Mehr Blumen als am Muttertag (Unterwegs in Europa, Tag 3)

von Oskar Piegsa

Ein russisches Kriegerdenkmal in Tallinn, vor dem heute der “Tag des Sieges” (der Roten Armee) gefeiert wurde

Ein russisches Kriegerdenkmal in Tallinn, vor dem heute der “Tag des Sieges” (der Roten Armee) gefeiert wurde …

Die Russen in Estland haben heute den „Tag des Sieges“ gefeiert, für den wir vorgestern angereist sind. Den Rotarmisten zu Ehren wurden auf einem Militärfriedhof in Tallinn vor einem Kriegerdenkmal rote Nelken abgelegt. Tausende Nelken. Zehntausende Nelken. Claudius hat Schnappschüsse von dem Blumenhaufen gemacht – das obere der beiden Fotos ist vom Mittag, aber wie weiter unten in diesem Posting zu sehen ist, wuchs der Haufen bis zum Abend noch deutlich an, trotz des strömenden Regens am Nachmittag.

Für mich war das Ausmaß der Feier überraschend. In Claus Leggewies Buch Der Kampf um die europäische Erinnerung hatte ich von dem umstrittenen Gedenken vor dem sowjetischen Kriegerdenkmal gelesen. Davon, dass das Denkmal bis vor einigen Jahren in der Altstadt stand, dass die estnische Regierung entschieden hatte, es auf diesen Friedhof und damit aus dem Blickfeld der meisten Esten zu schaffen, dass daraufhin Jugendliche randalierten, dass es zu diplomatischen Verstimmungen mit Russland kam, dass heute noch einige der vielen in Estland lebenden Russen am 9. Mai vor dem Denkmal Blumen ablegen. Nach der Leggewie-Lektüre hatte ich irrtümlicherweise angenommen, dass wohl ein paar verbitterte Witwen oder Veteranenclubs vor dem Denkmal ihre Kränze ablegen.

Tatsächlich hatte der heutige Tag Volksfestcharakter, sowohl was die Stimmung angeht, als auch, was die Besucherzahlen betrifft. Es wimmelten von Menschen. Alte und Junge kamen, viele machten Handyfotos, posierten vor den Blumen, lachten für die Kamera (wer weiß, wie viele dieser Bilder inzwischen auf vkontakte aufgetaucht sind, der russischen Facebook-Alternative). Nur die Würstchenbude fehlte.

Damit die richtige Stimmung aufkam, hatten sich Jungs und Mädels (alle nach 1989 geboren) mit alten Sowjetuniformen verkleidet. Einige Gäste schwenkten Russlandfahnen, sangen russische Soldatenlieder. Viele applaudierten den verkleideten Sowjetsoldaten. Das alles war für uns etwas befremdlich, zumal vor dem Hintergrund der Gewalt in der Ukraine. Keine Überraschung: Esten haben, soweit wir das gesehen haben, heute nicht mitgefeiert.

die Blumen am Nachmittag

Das gleiche Motiv, einige Stunden später – die verkleideten Soldaten bekamen da langsam Sichtprobleme.

Guten Morgen, Tallinn! (Unterwegs in Europa, Tag 2)

von Oskar Piegsa

Guten Morgen, Tallinn!

Das ist Tallinn – nur einige Kilometer abseits der Postkartenmotive in der Altstadt.

Beim Blick aus dem Fenster (durch Vorhänge, die womöglich noch aus Sowjetzeiten stammen) sehen Claudius und ich heute morgen die Wohnblöcke einer Trabantenstadt (die ganz sicher noch aus Sowjetzeiten stammen). Wir befinden uns gut sechs Kilometer östlich vom historischen Stadtkern der estnischen Hauptstadt Tallinn.

Gefühlt sind die mittelalterlichen Tavernen und Bernstein-Boutiquen der Altstadt hier noch weiter weg. Während im alten Hafen regelmäßig mit Fähren und Kreuzfahrtschiffen ausländische Touristen ins Land gespült werden, bleibt man in dieser Gegend eher unter sich. Gesprochen wird hier nicht Englisch, Finnisch oder Schwedisch, wie unter den Touristen in der Innenstadt, auch nicht Estnisch, sondern vornehmlich Russisch.

Rund 25 Prozent der Menschen in Estland haben sich beim letzten Zensus als Russen identifiziert. Sie (oder ihre Eltern) sind zu Zeiten der Sowjetunion ins Land gekommen sind – und geblieben, als Estland 1991 unabhängig wurde. Die Sprache ist ein Streitpunkt der estnischen Minderheitenpolitik. Die estnische Staatsbürgerschaft wurde nach der Unabhängigkeit an Sprachkenntnisse gekoppelt, was für viele Russen bedeutete, dass sie keinen estnischen Pass bekamen (während der Sowjetunion wurde niemand angehalten, die Landessprache zu lernen, so heißt es immer wieder in der Literatur – als Sprache des Internationalismus galt schließlich das Russische). Außerdem versucht die Regierung in Tallinn seit einigen Jahren, die Zahl der russischsprachigen Schulen im Land zu verkleinern – das sagen zumindest Vertreter der russischen Minderheit.

Der andere Streitpunkt ist der unterschiedliche Umgang von Esten und Russen mit der jüngeren Geschichte. Neben dem Eurovision Song Contest, dem die jugendliche Tochter unserer russischen Gastgeberin schon entgegenfiebert, steht morgen ein besonderes Fest für die hiesigen Russen an, das einigen Esten ein Dorn im Auge ist: Der „Tag des Sieges“, an dem man der Rotarmisten gedenkt, die im Zweiten Weltkrieg gekämpft und den Faschismus zerschlagen haben.

Bloß haben die Rotarmisten leider nicht nur den Faschismus zerschlagen, sondern auch Estland und die beiden anderen baltischen Staaten besetzt. Unter Stalin wurden tausende Menschen von hier nach Sibirien deportiert. Der 9. Mai ist für die Esten kein Tag des Sieges.

Wir sind einige Zeit hier, um mehr zu erfahren über diesen besonderen Tag in Estland. Anschließend werden wir wie angekündigt in Richtung Wien aufbrechen und von dort weiter nach Sarajevo und Budapest reisen. In den kommenden Wochen wollen wir öfters kurze Updates in diesem Blog veröffentlichen – und ab Juni oder Juli nach und nach ein halbes Dutzend neuer Dinge Europas präsentieren.

Eine letzte Runde – bevor es wieder auf die Reise geht

von Oskar Piegsa

Tschechisches Bier: ein Vorgeschmack auf unsere Mittelsüdosteuropa-Reise

Mit Kaltgetränken im Dämmerlicht saßen wir zuletzt öfters. Der verdammte Winter! Dieses Foto dokumentiert trotzdem einen besonderen Moment: Es zeigt, wie Claudius und ich mit Freunden im Peacetanbul im Hamburger Karoviertel zusammensitzen – das letzte Mal, bevor es für uns wieder auf die Straße geht um neue Dinge zu sammeln.

Mehr als ein halbes Jahr ist es her, dass wir das letzte Mal gereist sind, um aus Irland und Oberbayern drei Dinge mitzubringen: den Irish Pub, den BMW 525d und Jacky. Dieses Mal werden wir länger unterwegs sein, mehr Länder bereisen und hoffentlich viele neue Dinge zurück nach Deutschland bringen.

Geplant sind Stopps in Tallinn, Wien, Budapest, Sarajevo, Tuzla und Košice. Einen Monat haben wir uns dafür von unseren Hauptjobs freigenommen. Wer entlang der Route wohnt und eine freie Couch oder einen Küchentisch im Dämmerlicht anzubieten hat: Melden Sie sich, sehr verehrte Damen und Herren.

Ansonsten lesen wir einfach voneinander, demnächst in diesem Blog.

»Was fasziniert Sie an Europa?« Im Interview mit den Jungen Europäischen Föderalisten

von Oskar Piegsa

Screenshot Treffpunkt Europa

Screenshot des Online-Magazins Treffpunkt Europa mit Claudius und mir im Interview

Bisher haben Claudius und ich das Privileg gehabt, Fragen zu stellen. Jetzt mussten wir zum ersten Mal Antworten geben. Christian Simon von den Jungen Europäischen Föderalisten hat uns zu den Dingen Europas befragt, das Ergebnis ist nachzulesen im Online-Magazin Treffpunkt Europa, was uns sehr freut.

Lustig: Wer diese Website besucht, wird dort von unserem Guiness-Selfie begrüßt, für das Claudius und ich unsere dicken Nasen und unrasierten Gesichter in die Kamera hielten. Brrr. Bitte trotzdem zur Europawahl gehen!

Die Dinge sind online: Willkommen & viel Spaß damit!

von Oskar Piegsa

Social Media Week Hamburg 2014

Triple-A-Rating für unsere Moderatorin Caterina Lobenstein. Wir eher so: B+.

Gestern haben wir die Dinge Europas auf der Social Media Week in Hamburg offiziell gestartet. Das Klirren ist mir noch im Ohr. Es ist das Klirren von Sektgläsern, nicht von Scherben. Also: alles gut gegangen!

Wir waren zwar ein bisschen hibbelig, rissen uns gegenseitig das Mikro aus der Hand und ließen unsere arme Moderatorin kaum zu Wort kommen. Aber: Die Seite ist online und sieht gut aus. Danke, Olaf!

Was jetzt noch zu sagen ist: Das hier ist erst der Anfang. Die Dinge Europas sind permanent beta – die Sammlung ist nie abgeschlossen, genau wie auch Europa und die EU es niemals sein werden. Wir hoffen, dass wir unsere Sammlung in den nächsten Wochen, Monaten, Jahren noch gehörig aufstocken – damit man genussvoll darin blättern und sich darin verlieren kann.

Die geografische und thematische Streuung der Dinge wird dann noch wachsen. Wer Vorschläge hat, welches Ding wir uns als nächstes vornehmen sollen und wer Kritik loswerden will, der findet hier unsere Kontaktdaten. Wir sind gespannt, wie es weitergeht.

Ach, oh, die Freuden des Betatestens

von Oskar Piegsa

betatestblog

Die Küche ist jetzt ein Büro

Blaues Schimmern. Leises Surren. Klickgeräusche. Geht draußen schon die Sonne auf? Egal, ich hol mir noch ’nen Tee. Die Dinge Europas sollen vorzeigbar sein, wenn wir die Website nächste Woche auf der Social Media Week in Hamburg für die Öffentlichkeit freischalten. Und zwar auf PCs, auf Macs & auf mobilen Geräten. Deshalb stecken wir gerade in einer Mühle namens Betatest und basteln am den letzten Details.

Unser Programmierer Olaf sitzt im Büro im Schanzenviertel und schreibt am Code, Claudius in der Küche auf St. Pauli und checkt das Design, Oskar im Arbeitszimmer in Altona und prokelt an den Texten rum. Es sieht so aus, als würden wir gerade rechtzeitig fertig.

Kommenden Freitag veröffentlichen wir im Rahmen des Vocer Innovation Day diese Seite, in der jetzt ein halbes Jahr Arbeit steckt: Urlaubstage, Wochenenden, Feierabende. Fertig sind wir dann längst noch nicht. Oder höchstens mit den Aufwärmübungen.

Denn, das ist die Idee: Abgeschlossen wird unsere Sammlung der Dinge Europas niemals sein. Weil man immer noch mehr Dinge finden kann. Weil man sich Europa annähern kann, aber es niemals ganz abbilden. Weil sich Europa verändert, wie man gerade dieser Tage wieder in den Zeitungen liest: Grenzen fallen, Grenzen kommen wieder.

Nächste Woche Freitag werden wir den Grundstock unserer Sammlung vorzeigen, fünf Dinge, die wir aus der Liste mit unseren Ideen ziemlich willkürlich ausgewählt haben: ein Buch und ein Bretterhaufen. Ein Auto und ein Pferd. Ein Raum, der eher eine Idee ist. An diesen fünf Dingen haben wir ausprobiert, welche Bildsprache wir wollen und was für eine Textform.

Wir freuen uns darauf, unseren ersten Zwischenstand vorzuzeigen, Kritik entgegen zu nehmen und mit Euch anzustoßen. Der Sekt geht auf uns. Bis dahin herrscht arbeitsame Enthaltsamkeit. Ist es draußen immer noch dunkel? OK, ich setze noch eine Kanne auf. Klick-klick. Surr-surr. Schimmer-schimmer.

Wie wir Paletten-Nerds wurden (na ja, fast)

von Oskar Piegsa

Europalette vor Kifferladen in Wien (im September 2013)

Das erste unserer Dinge Europas sollte ein Witz sein. So stellten wir uns das zumindest vor – und irrten uns dabei. Es war im Frühjahr 2013, Claudius und ich hatten uns in groben Zügen unser Konzept überlegt, aber noch keine konkreten Schritte, als ich einer Kollegin von unserer Idee erzählte. Viel anfangen konnte sie damit nicht. „Die Dinge Europas“, sagte sie. „Meint ihr Europaletten, oder was?“

Äh, Europaletten? Ich fand die Reaktion zuerst ernüchternd – und dann genial. Von Anfang an begleitete uns der Zweifel, ob unser Vorhaben nicht so größenwahnsinnig sei, dass wir damit scheitern würden. Europa erzählen? Was qualifizierte uns dazu? Damals war klar: Entweder unser Projekt wird sang- und klanglos absaufen. Oder wir können uns darauf gefasst machen, dass wir bald solche Fragen beantworten müssen.

Während wir selbst noch nicht wussten, ob dieses Projekt funktioniert, fürchtete ich, dass Kritiker unsere Arbeit in Stücke reißen würde, ohne uns vorher eine Chance zur Verteidigung zu geben. Die Lösung lag auf der Hand: Wir mussten mit etwas ganz Profanem anfangen. Mit einem Ding, das so naheliegend ist, dass es fast dämlich wirkt. Das würde unseren Kritikern den Wind aus den Segeln nehmen und gleichzeitig allen anderen ein Zeichen sein: „Hey, wir wissen auch nicht, ob das hier klappt, seht ihr!“ Wir wollten uns feige hinter der Palette verstecken. Wir hatten die Palette unterschätzt. (mehr …)